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Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie

Sanitärhiebe im Wald: oft Vorwand für Holzernte

27.03.2018

Umfangreiche Holzeinschläge in geschützten Wäldern nehmen weltweit zu. Als "Sanitärhiebe" sollen sie etwa sturmgeschädigte Waldflächen vor Borkenkäferbefall schützen. Jedoch wird dieses Instrument laut einer Würzburger Studie viel zu häufig angewendet.

Sanitärhieb im Nationalpark Bayerischer Wald gemäß der Nationalparkverordnung. Hier werden Borkenkäferbäume in einer zukünftigen Kernzone entnommen. (Foto: Reinhold Weinberger, Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald)

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m ostpolnischen Bialowieza befindet sich der letzte natürliche Urwald Europas. Noch. Die polnische Regierung ließ im Jahr 2017 100.000 Bäume mehr fällen als zuvor, obwohl weite Teile dieses Weltnaturerbes unter klaren Schutzauflagen stehen. Sie berief sich auf eine mögliche Ausbreitung des Borkenkäfers. Nach Protesten von Umweltaktivisten, europaweiter Kritik in den Medien und Bedenken der Europäischen Kommission ruhen hier vorerst die Motorsägen, der Fall liegt beim Europäischen Gerichtshof, der Umweltminister wurde entlassen.

Dieser Fall ist jedoch keine Ausnahme. Dass sich die Kritik von Politik und Medien auf Polen beschränkt, kann Professor Jörg Müller nur bedingt verstehen: "Solche Sanitärhiebe finden leider weltweit immer häufiger in geschützten Waldgebieten statt." Er hat mit seinen Kollegen von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) in einer nun im Fachmagazin "Conservation Letters" erschienenen Übersichtsarbeit erstmals herausgearbeitet, dass dieses Vorgehen auch in Deutschland, dem Rest von Europa und Asien weit verbreitet und damit ein globales Problem ist.

Einnahmen durch Holzverkauf als Argumente – nicht Schädlingskontrolle

Für ihre Studie trugen die Mitarbeiter vom Würzburger Biozentrum 42 Fallstudien aus 26 Ländern zusammen und befragten lokale Experten nach den Gründen und Verantwortlichkeiten der Sanitärhiebe. "Anders als in der Öffentlichkeit häufig kommuniziert, ist bei den Einschlägen in Schutzgebieten der Aspekt Geldeinnahmen das Hauptmotiv – Schädlingskontrolle landet auf Platz zwei", erklärt Müller. Der Waldökologe leitet die Ökologische Station Fabrikschleichach der JMU. Die Forschungsschwerpunkte dieser Station im Herzen des Steigerwalds sind Waldökologie, Naturschutzbiologie sowie angewandte Biodiversitätsforschung.

Sanitärhiebe sind dort, wo die Holzproduktion im Vordergrund steht, sinnvoll, um Holz noch rechtzeitig einer guten Verwendung zuzuführen. Für die Biodiversität im Wald und auch für seine Regenerationsfähigkeit sind sie es nicht. Gerade durch Störungen wie Stürme und Borkenkäferbefall entstehen wertvolle Waldlebensräume für viele bedrohte Arten. "Sie sind Treiber für eine erhöhte Arten- und Strukturvielfalt", sagt Müller.

Fehlendes Problembewusstsein bei IUCN und FSC

Der Sanitärhieb werde oft schlicht als Vorwand zur Holzentnahme vorgeschoben. Müller sagt: "Es wird gezielt die mangelnde Kenntnis in der Bevölkerung in Sachen natürliche Störungen ausgenutzt." Während sich viele Menschen massiv für den Erhalt grüner, reifer Wälder aussprechen würden, gelten chaotische Waldflächen als sanierungsbedürftig. Selbst der Einsatz von Großmaschinen in Schutzgebieten sei dann gesellschaftlich vielerorts akzeptiert.

Viele bedrohte Waldarten fänden in solchen Flächen überlebenswichtige Areale. "Wir waren überrascht, wie regelmäßig diese Flächen in Schutzgebieten geräumt werden", sagt Müller. Die Forscher staunten zudem darüber, dass auch bei der Weltnaturschutzorganisation IUCN (International Union for Conservation of Nature) und der Zertifizierungsgesellschaft FSC (Forest Stewardship Council) hierzu kein Problembewusstsein vorhanden zu sein scheint. "Es gibt weder Guidelines für Schutzgebietsmanager seitens der IUCN noch ist das Thema 'sinnvoller Erhalt von Störungsflächen' Teil der FSC-Zertifizierung. Lokale Forstmanager, die sich gegen Holznutzungsinteressen stellen, sind damit häufig auf sich alleine gestellt", erklärt Müller.

Kernbotschaften an weltweite Umweltpolitik, Schutzorganisationen und Forstindustrie

Für eine neue Politik im Umgang mit Störungsflächen haben Müller und Kollegen auf Basis der Übersichtsarbeit konkrete Handlungsempfehlungen entwickelt. Als erstes sollten Sanitärhiebe aus Schutzgebieten gänzlich verbannt werden – es sei denn, es bestünden direkte Risiken für Menschen und Privateigentum. "Es wäre sicher sinnvoll, wenn die IUCN hier ihre Guidelines überarbeiten würde", sagt Müller und ergänzt: "Deutschland hat viele Nationalparke mit Wäldern in denen in den nächsten Jahren Störungen mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartet werden müssen. Hier sollte dringend ein verbessertes Schutzgebietsmanagement auf der Basis unseres heutigen ökologischen Wissens entwickelt werden."

Eine weitere Empfehlung ist zugleich ein Arbeitsbereich der Würzburger Ökologen, den sie weiter vorantreiben werden: "Wir brauchen vermehrt integrierte Studien zu den ökonomischen und ökologischen Auswirkungen von Sanitärhieben sowie ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz", sagt Dr. Simon Thorn, Mitarbeiter an der Forschungsstation. Diese Auswertungen sollten zudem die Forstplanung verbessern. Störungsflächen müssten in Zukunft explizit miteingeplant werden, noch bevor Störungen einträten. Dies sei jedoch sehr komplex umzusetzen und nur mit staatlicher Unterstützung möglich.

Neben konkreten Maßnahmen in Wald, Politik und Industrie sehen die Würzburger Forscher noch einen weiteren wichtigen Ansatzpunkt: das Wissen um das Ökosystem Wald. "Bereits Schüler und Studierende in Forst, Biologie und Naturschutz sollten über die positiven Effekte von Störungsflächen und die negativen Auswirkungen von ausufernden Sanitärhieben im Ökosystem Wald aufgeklärt werden", sagt Müller und ergänzt: "Die Menschen haben vielleicht ein Stück weit verlernt, der Natur zu vertrauen, dies sehen wir auch bei unseren Biologie-Studierenden in Würzburg."

Müller J, Noss RF, Thorn S, Bässler C, Leverkus AB, Lindenmayer D. "Increasing disturbance demands new policies to conserve intact forest."Conserv Lett. 2018;e12449. doi.org/10.1111/conl.12449

Kontakt

Professor Jörg Müller, Feldstation Fabrikschleichach, Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie (Zoologie III),  T.: +49-931-31-83378, joerg.mueller@uni-wuerzburg.de

 

 

Von Marco Bosch

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