Pflanzliche Signalwege entschlüsselt
28.08.2024Mit neu generierten „optogenetischen“ Tabakpflanzen haben Forschungsteams aus der Pflanzen- und Neurophysiologie der Universität Würzburg untersucht, wie Pflanzen auf Signale aus der Umwelt reagieren.
Wenn es ums Überleben geht, haben Pflanzen im Vergleich zu vielen anderen Lebewesen einen gewaltigen Nachteil: Sie können nicht einfach ihren Standort wechseln, wenn Fressfeinde oder Krankheitserreger sie angreifen oder die Umweltbedingungen sich zu ihrem Nachteil verändern.
Aus diesem Grund haben Pflanzen unterschiedliche Strategien entwickelt, mit denen sie auf solche Angriffe reagieren. Auslöser von Abwehrreaktionen sind Signale aus ihrer belebten und unbelebten Umwelt. Bei der Verarbeitung dieser Signale spielen Konzentrationsänderungen des sekundären Botenstoffs Calcium eine zentrale Rolle.
Neben Änderungen im cytoplasmatischen Calcium Spiegel scheinen auch Änderungen des Membranpotenzials der Zelle als Signalgeber zu fungieren. Arbeitsgruppen aus der Neurophysiologie, Pharmazeutischen Biologie und der Botanik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) haben die Calcium-Membranpotential-Beziehung genauer untersucht. Ihre Ergebnisse haben sie jetzt in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
Lichtempfindliche Kanäle ermöglichen gezielte Manipulationen
Für ihre Studie haben die Forschungsteams mit Tabakpflanzen gearbeitet, die Ionenkanäle tragen, die man gezielt mit Licht anschalten kann. Mit ihrer Entdeckung und Charakterisierung von lichtaktivierten Membran-Ionenkanälen, sogenannten Channelrhodopsinen, leiteten Peter Hegemann, Georg Nagel und Ernst Bamberg vor mehr als 20 Jahren den Erfolg der Optogenetik ein.
Mit Hilfe dieser lichtempfindlichen Proteine, die aus Algen und Mikroorganismen gewonnen werden, war es den Forschern der JMU nun möglich, im Experiment der Frage nachzugehen, ob der Einstrom von Calcium-Ionen oder durch Anionenausstrom-vermittelte Depolarisation der Zellmembran für die Stressabwehr der Pflanze entscheidend ist. Bis es so weit war, mussten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler allerdings jede Menge Vorarbeiten leisten.
Optogenetik mit Rhodopsinen
Channelrhodopsine, also Ionenkanäle, die einen intrinsischen Rhodopsin-basierten Lichtschalter tragen, revolutionierten die Neurowissenschaften durch lichtgesteuerte Untersuchungen neuronaler Netzwerke. Channelrhodopsine in der Pflanzenforschung einzusetzen, gelang erst 20 Jahre später, durch eine enge Zusammenarbeit der Gruppe von Georg Nagel, Professor am Physiologischen Institut der JMU, mit Pflanzenforschern der Würzburger Lehrstühle für Botanik 1 und der Botanik 2 sowie des Lehrstuhls für Pharmazeutische Biologie.
2021 veröffentlichte die Gruppe von Georg Nagel gemeinsam mit Dr. Kai Konrad, Gruppenleiter am Lehrstuhl von Professor Rainer Hedrich, Botanik 1 der JMU, einen Ansatz die Nutzung von Channelrhodopsinen in Pflanzen zu optimieren. Hierfür mussten zunächst drei Hauptschwierigkeiten überwunden werden.
Rhodopsine benötigen Vitamin A
Punkt 1: „Wie alle Rhodopsine, einschließlich derer in unseren Augen, benötigen Channelrhodopsine das kleine Molekül Retinal, auch bekannt als Vitamin A, damit sie Licht absorbieren können. Wir Menschen erhalten Retinal hauptsächlich aus Beta-Carotin, dem Provitamin A. Landpflanzen enthalten jedoch kein Retinal, dafür aber viel Beta-Carotin“, erklärt Dr. Shiqiang Gao, Co-Autor der Nature-Publikation und „Rhodopsin-Ingenieur“ im Team der Abteilung für Neurophysiologie der JMU.
2021 gelang es Gao erstmals, die Expression von Channelrhodopsinen mit der Produktion von Retinal aus Beta-Carotin in Pflanzenzellen zu kombinieren. Dies ermöglichte die Entwicklung von Tabakpflanzen mit einem hohen Retinalgehalt und erfolgreicher Expression von Channelrhodopsinen.
Dr. Markus Krischke aus der Metabolomics Core Unit am Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie unter Leitung von Professor Martin Müller bestätigte den hohen Retinal-Gehalt der verschiedenen transgenen Tabakpflanzen.
Vergleichbare transgene Tabakpflanzen wurden für die jetzt veröffentlichte Studie von Dr. Meiqi Ding vom Lehrstuhl für Botanik I unter der Leitung des Pflanzenphysiologen und Experten für pflanzliche Signalverarbeitung Dr. Kai Konrad aus der Gruppe von Professor Rainer Hedrich am Lehrstuhl für Botanik 1 erzeugt.
Pflanzen benötigen Licht für ihr Wachstum
Punkt 2: „Die meisten Rhodopsine werden durch blaues beziehungsweise grünes Licht aktiviert. Das ist jedoch immer Bestandteil von weißem Licht“, erklärt Georg Nagel. Demzufolge konnten die Tabakpflanzen also nicht, wie üblich, im Gewächshaus oder unter künstlichem Weißlicht angezogen werden. Nur in speziellen Wachstumskammern mit rotem LED-Licht, was photosynthetisch genutzt werden kann, war es möglich, eine ungewollte Rhodopsin-Aktivierung zu vermeiden.
Tests unter verschiedenen Wachstumsbedingungen zeigten: „Tabak entwickelt sich unter Rotlicht gesund und unverändert, im Vergleich zu Gewächshaus-Bedingungen“, wie Dr. Kai Konrad sagt.
Funktionelle Expression von Channelrhodopsinen in Pflanzen
Punkt 3: Die Expression von Chanelrhodopsin in Tabakzellen bereitet häufig Schwierigkeiten. 2021 war es den Würzburger Wissenschaftlerteams gelungen, den lichtaktivierten Anionenkanal GtACR1 in Zellen der Tabakpflanze zu exprimieren.
In der Folge konnte Georg Nagels Arbeitsgruppe verschiedene Channelrhodopsine entwickeln, die für die Permeabilität von Calcium-Ionen optimiert waren. Schließlich gelang es Dr. Shiqiang Gao und Dr. Shang Yang, beide Mitglieder von Nagels Gruppe, ein sehr gutes Calcium leitendes Channelrhodopsin XXM 2.0 für die gezielte Expression in Tabakpflanzen zu entwickeln.
Das war der Durchbruch: „Die erfolgreiche Expression von Channelrhodopsinen mit unterschiedlicher Ionenselektivität in Pflanzenzellen ermöglicht den Vergleich verschiedener Ionensignale parallel zum elektrischen Signal, der sogenannten Depolarisierung“, erklärt Dr. Meiqi Ding. Sie nutzte das Calcium leitende Channelrhodopsin XXM 2.0 und den lichtaktivierten Anionenkanal GtACR1, um die verschiedenen Ionensignalwege in Tabak zu untersuchen.
Eine neue Ära in der Pflanzenforschung
Diese neu generierten „optogenetischen“ Tabakpflanzen erlaubten, die Frage zu klären, ob Calcium-Einstrom oder Membrandepolarisation entscheidend für die Reaktion der Pflanze auf eine bestimmte Stress-Situation sind. „Die Antwort war eindeutig“, sagt Dr. Kai Konrad, korrespondierender Autor.
Erstautorin Dr. Meiqi Ding aus der Botanik 1 Gruppe von Dr. Konrad erklärt: „Nach der Aktivierung des Anionenkanals wurden die Blätter welk und reagierten mit der typischen Antwort der Pflanze auf Trockenheit; das Pflanzenhormon Abscisinsäure (ABA) wurde produziert und die Genexpression zum Schutz vor Austrocknung hochgefahren“.
„Bei den Pflanzen mit dem Calciumkanal jedoch zeigte sich keine Veränderung der ABA-Konzentration nach optogenetischer Stimulierung“, so Dr. Ding weiter. „Stattdessen produzierten die Pflanzen Signalmoleküle und Pflanzenhormone, um Abwehrmechanismen gegen Fraßfeinde einzuleiten, erkennbar an weißen Flecken der Blätter“, so Dr. Konrad.
Dass dabei Reaktive Sauerstoff/Oxigen Spezies ROS freigesetzt werden, konnte Dr. Sönke Scherzer am Lehrstuhl von Professor Rainer Hedrich durch direkte ROS-Messungen zeigen.
Dirk Becker und Rainer Hedrich am Lehrstuhl Botanik 1 entwarfen einen experimentellen Ansatz, um die Arbeitshypothese durch ihre transkriptomische und bioinformatische Analyse zu untermauern.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind überzeugt davon, dass diese Studie erst der Anfang einer neuen Ära in der Pflanzenforschung ist. Schließlich können nun mit verschiedenen Rhodopsinen die Signalwege der Pflanzen besser „ausgeleuchtet“ werden.
Originalpublikation
Probing plant signal processing optogenetically by two channelrhodopsins. Meiqi Ding, Yang Zhou, Dirk Becker, Shang Yang, Markus Krischke, Sönke Scherzer, Jing Yu-Strzelczyk, Martin J. Mueller, Rainer Hedrich, Georg Nagel, Shiqiang Gao, Kai R. Konrad. Nature, 28 August 2024. DOI: 10.1038/s41586-024-07884-1. https://www.nature.com/articles/s41586-024-07884-1
Kontakt
Dr. Kai Konrad, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, kai.konrad@uni-wuerzburg.de
Dr. Shiqiang Gao, Physiologisches Institut - Neurophysiologie, gao.shiqiang@uni-wuerzburg.de