Virtuell die Natur erkunden
13.10.2020Als Präsenzübungen und Exkursionen im Sommersemester nicht möglich waren, haben Biologiedozenten der Universität Würzburg ein attraktives Online-Lehrangebot auf die Beine gestellt.
Artenkenntnis und das eindeutige, richtige Benennen von Pflanzen und Tieren sind im Studium der Biologie ein zentrales Thema. Daher finden regelmäßig die Bestimmungskurse „Flora“ und „Fauna“ statt. Das Erlernen der Pflanzenbestimmung erfordert neben der Theorie vor allem viel praktische Übung, das Arbeiten in der Natur in Form von Übungen und Exkursionen ist dabei entscheidend. Im digitalen Sommersemester 2020 war genau dies aber nicht möglich. So haben Dozenten der Biologie attraktive Alternativen in Form von digitalen Lehrangeboten entwickelt.
Flora und Fauna virtuell
„Wir Dozenten konnten nicht mit unseren Studierenden die Köpfe über den Pflanzen und einem Bestimmungsbuch dicht zusammenstecken, um die artspezifischen Merkmale der Pflanzen vorzustellen“, sagt Dr. Gerd Vogg, Kustos des Botanischen Garten und einer der Dozenten der „Bestimmungsübungen zur einheimischen Flora“. „Am Anfang erschien es uns fast unmöglich, einen Bestimmungskurs, der so stark von der praktischen Arbeit in der Gruppe lebt, ohne Präsenz der Studierenden anzubieten“, ergänzt Kollege Dr. Ulrich Hildebrandt.
Das Modul „Einheimische Flora“ im vierten Fachsemester besteht normalerweise aus drei Elementen: einer Vorlesung für die theoretischen Grundlagen, praktischen Bestimmungsübungen im Kurssaal sowie Exkursionen an ausgewählten Würzburger Standorten. Live im Hörsaal unterrichten war jedoch nicht erlaubt – so haben die Dozenten die Inhalte ihrer Vorlesungen neu als Videos vertont und die Materialien im virtuellen WueCampus-Kursraum hochgeladen. Zu Beginn jeder Online-Vorlesung haben sie ihre Studierenden persönlich angesprochen und aufgefordert, in diesem Ausnahmesemester ganz besonders auf ihre Selbstdisziplin zu achten.
Spielerisch Pflanzen bestimmen
„Eine echte Herausforderung war natürlich, zu den praktischen Übungen gute Alternativen zu finden“, berichtet Gerd Vogg. Mit Hilfe von Videos, die teilweise im Gelände aufgenommen wurden, haben die beiden Dozenten das Bestimmen ausgewählter Pflanzenarten Schritt für Schritt vorgeführt und einzelne Punkte mit unzähligen Fotos von Pflanzendetails veranschaulicht.
Um das Bestimmen anschließend einzuüben, erwies sich CaseTrain als ideales Tool: Mit dieser digitalen Plattform für fallbasiertes Training der Uni Würzburg können Dozierende sogenannte Problemfälle didaktisch aufbereiten, die dann von den Studierenden selbständig in Form eines Quiz gelöst werden. In 39 neu produzierten Fallbeispielen mit einer Vielzahl von Pflanzenfotos trainierten die Biologiestudierenden so das Erkennen und Benennen wichtiger Bestimmungsmerkmale. „Durch das spielerische Lernen möchten wir unsere Studierenden motivieren, selber Pflanzen am Naturstandort zu bestimmen“, so Hildebrandt.
„Artenkenntnis kann man sich vor allem in der Natur aneignen. Ein selbständiges Arbeiten ist dabei unerlässlich“, sagt Vogg. Deshalb hat sein Team für den Kurs zusätzlich Steckbriefe verfasst – jeweils 20 mit charakteristischen Pflanzenarten für typische Exkursionsziele. Die Studierenden sollten mit diesen Steckbriefen fünf vorgeschlagene Exkursionsziele aufsuchen, beispielsweise Wälder im Steinbachtal oder Wiesen entlang des Mains, und die Pflanzen der Steckbriefe finden, diese bestimmen und sich natürlich merken. Sogar Anekdoten, Anwendungen oder Besonderheiten haben die Dozenten als Gedächtnisstützen mitangeboten.
Auch online für Fragen da sein
150 Studierende in einem Kurs gut zu betreuen und individuell auf die vielen Fragen einzugehen, benötigt personelle Unterstützung. Mit Finanzmitteln aus dem „Qualitätspakt Lehre an der JMU“ konnten die Kursleiter kurzfristig zehn studentische Hilfskräfte einstellen, die als Chat-Mentoren die Studierenden in festen Kleingruppen unterstützten. Hierfür haben sie zwei unterschiedliche Plattformen eingesetzt: Zoom mit Meetings für den direkten Kontakt und RocketChat zum Hochladen der Fragen, Kommentare und Fotos. „Durch diese Kombination war es möglich, dass die Studierenden jederzeit Fragen stellen konnten und die Hiwis, teilweise unter Einbindung der Dozenten, die Antworten vorbereiten konnten. Über Zoom konnten die Antworten dann noch direkt erläutert und kommentiert werden“, erklärt Gerd Vogg.
Auch die Prüfung am Ende des Sommersemesters gestaltete sich ganz anders als gewohnt: Anstelle einer Klausur mussten die Prüflinge ein Herbarium mit getrockneten und gepressten Pflanzen abgeben. Bei 150 Personen häuften sich bei den Chat-Mentoren entsprechend viele Fragen, die es zu beantworten galt. Die Hilfskräfte durften allerdings nur Hilfestellung beim Bestimmen geben, die korrekten Namen der jeweiligen Pflanzen mussten die Kursteilnehmer schon selbst herausfinden.
Von der Artenvielfalt fasziniert
„Ein Nachteil der präsenzfreien Lehre ist definitiv, dass wir die Teilnehmenden nicht unmittelbar ansprechen können und es schwierig ist, sie zu motivieren und ihnen die Bedeutung einer soliden Artenkenntnis zu vermitteln“, zieht Gerd Vogg Bilanz. Gerade die Exkursionen mit ihren praktischen Bestimmungselementen seien nicht zu ersetzen. „Diese direkte Motivation ist aber unerlässlich. Im Idealfall kann solch ein Kurs eine lebenslange ,Sucht׳ bei an Artenvielfalt interessierten Menschen auslösen. Wir wissen dies aus eigener Erfahrung“, erzählt Ulrich Hildebrandt.
„Unter Normalbedingungen bleiben auch immer einige der Biologinnen und Biologen nachhaltig von der Artenvielfalt fasziniert. Ob das so unter den präsenzfreien Bedingungen erfolgt ist, bleibt fraglich. Insofern ist die Hoffnung groß, dass im kommenden Sommersemester den Studierenden direkt in Präsenz und mit Anleitung in der Praxis der Zugang zur heimischen Flora eröffnet werden kann“, so der Ausblick auf das nächste Jahr.
Der Mehraufwand im digitalen Sommersemester war groß, umso mehr freuen sich die Dozenten über das gute Feedback ihrer Studierenden in den digitalen Lehrevaluationen, über die guten bis sehr guten Prüfungsergebnisse und die positiven Kommentare der Studierenden wie diesen: „Das Modul hat mir insgesamt großen Spaß gemacht… Es ist, als könnte ich plötzlich ,mehr´ von der Welt sehen, obwohl sie sich nicht verändert hat, aber das begeistert mich an Biologie ja grundsätzlich.“
Kontakt
Dr. Gerd Vogg, Botanischer Garten, T: +49 931 31-89460, vogg@botanik.uni-wuerzburg.de
Dr. Ulrich Hildebrandt, Lehrstuhl für Botanik II, T: +49 931 31-86206, ulrich.hildebrandt@botanik.uni-wuerzburg.de