Signale aus der Pflanzenzelle
14.06.2019Zwei Wissenslücken sind geschlossen: Die Vakuolen von Pflanzenzellen lassen sich elektrisch erregen, und der Ionenkanal TPC1 ist daran beteiligt. Die Funktion dieses Kanals, der auch beim Menschen vorkommt, war bisher unbekannt.
Vieles läuft im Organismus einer Pflanze nicht anders ab als beim Menschen: In Getreide, Mais und Co. verständigen sich die Zellen und Gewebe ebenfalls durch elektrische Signale. Aus der jeweiligen Form und Frequenz der Signale beziehen die Pflanzen unterschiedliche Informationen. Sie reagieren damit zum Beispiel auf Hitze und Kälte, auf zu hohe Lichtintensitäten oder auf Fraßfeinde.
Frisst etwa eine Raupe das Blatt einer Wildpflanze an, schickte diese ein elektrisches Signal an die Blätter, die noch nicht befallen sind. Dort löst das Signal Abwehrreaktionen aus: In der ganzen Pflanze werden dann Bitter- oder Giftstoffe gebildet. Diese chemische Keule wirkt nach einiger Zeit – die Raupe hört auf zu fressen oder stirbt. Den modernen Nutzpflanzen allerdings wurde die Fähigkeit, Bitterstoffe zu bilden, aus geschmacklichen Gründen weggezüchtet. Darum kommt bei einem Raupenbefall auf Feldern der chemische Pflanzenschutz zum Einsatz.
Was die elektrische Kommunikation der Pflanzen angeht, haben Forscher der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg jetzt eine Wissenslücke geschlossen. Sie fanden heraus, dass der Ionenkanal TPC1 an der elektrischen Erregbarkeit der Pflanzenzelle beteiligt ist. Bislang war nicht genau bekannt, welche Funktion dieser Kanal überhaupt erfüllt. Der Züchtung eröffnet das auf lange Sicht vielleicht neue Wege zu Pflanzen, die resistenter gegen Schädlinge, Hitze oder Trockenheit sind – diese Eigenschaften wären angesichts des Klimawandels von Vorteil.
Publikation in Nature Communications
Ihre Ergebnisse stellen die JMU-Forscher um den Biophysiker Professor Rainer Hedrich jetzt in der angesehenen Zeitschrift „Nature Communications“ vor. Hedrich entdeckte den Ionenkanal TPC1 Mitte der 1980er-Jahre, damals als Postdoc beim Nobelpreisträger Erwin Neher in Göttingen. Über die Jahre hat er den Kanal intensiv erforscht und dabei fast all dessen Eigenschaften beschrieben.
Hedrichs neue Publikation schließt eine weitere Wissenslücke: Bislang war bekannt, dass die Zellmembranen der Pflanzen elektrisch erregbar sind. Nun steht fest, dass das auch für die Membran gilt, welche die Zentralvakuole der Pflanzenzellen umschließt – und auch hier ist TPC1 essentiell beteiligt. Die Vakuole ist ein Innenraum, der mit einer wässrigen Lösung gefüllt ist und bis zu 90 Prozent des Volumens einer Pflanzenzelle einnehmen kann. Sie dient vor allem als Vorratskammer, in der Nährstoffe gelagert sind.
Elektrischer Reiz geht mit Kalziumwelle einher
Wie entstehen elektrische Signale in der Membran der Vakuole? Wird eine Pflanze angefressen, wird in dem verletzten Blatt neben dem elektrischen Impuls auch eine Kalziumwelle losgetreten. „Beide Signale verstärken sich gegenseitig, und dadurch kann sich der Reiz in der ganzen Pflanze ausbreiten“, erklärt Hedrichs Kooperationspartner Ingo Dreyer, Professor an der University Talca in Chile.
Bei Pflanzen mit defektem TPC1 breitet sich die Kalziumwelle langsamer oder gar nicht aus. „Auf Grund dieses Befundes haben wir die Eigenschaften der Vakuole mit der Patch-Clamp-Technik untersucht“, so Hedrich. Dabei stellte sich heraus, dass sich Vakuolen ohne TPC1 weder durch Reizstrom noch durch eine Kalziumerhöhung elektrisch erregen lassen. Bei einer hyperaktiven Mutante von TPC1 dagegen wollte die Erregung gar nicht mehr abklingen. „Durch diese und weitere Analysen konnten wir das Verhalten der Vakuole mathematisch modellieren und noch unbekannte Eigenschaften der Vakuolenkanäle vorhersagen“, so Dreyer.
Struktur und Funktionsweise des Ionenkanals ermittelt
„Unsere Entdeckung ist auch für die medizinische Forschung interessant“ sagt Hedrich. Der Grund: Verwandte des TPC1-Kanals wurden auch beim Menschen gefunden. Welche Aufgabe der Kanal in den winzigen Membranvesikeln, den Endosomen unserer Zellen, erfüllt, sei noch nicht endgültig verstanden. Deshalb frage man auch in der Medizin nach Gemeinsamkeiten in Struktur und Funktion von pflanzlichem und menschlichem TPC1.
„Um hier Antworten zu liefern, haben US-Wissenschaftler zu unseren Patch-Clamp-Messungen hochauflösende Röntgen-Struktur-Analysen durchgeführt. So wurde der molekulare Bauplan ermittelt, der der Kanalfunktion zu Grunde liegt. Damit gehört TPC1 zu den heute am besten verstandenen spannungsabhängigen Ionenkanälen“, sagt der JMU-Professor.
TPC1 besteht aus zwei identischen Einheiten. Lagern diese sich zu einem Paar zusammen, formt sich ein Komplex, der in seinem Zentrum einen Ionenkanal bildet, der auf Spannung und Kalziumionen reagiert. Auf der Zellplasmaseite von TPC1 liegt eine Kalzium-Bindestelle für die Kanalaktivierung, auf der Vakuoleninnenseite gibt es eine zweite Bindestelle. Wird die Kalzium-Konzentration innen zu hoch, wird der Kanal geblockt und die Vakuole verliert ihre elektrische Erregbarkeit.
TPC1 in der Evolution und im Klimawandel
„Wir haben uns auch gefragt, wann die Kalzium-abhängigen TPC1-Funktionen erstmals bei Pflanzen aufgetreten sind“, so Hedrich. Erstmals war das offenbar bei Moosen der Fall. „Jetzt wollen wir herausfinden, ob TPC1 auch in frühen Vorfahren unserer Kulturpflanzen für die elektrische Erregbarkeit zuständig ist und ob die Verpflanzung eines Algen- oder Moos-TPC1 den Funktionsausfall in Mutanten moderner Pflanzen heilen kann.“
Weiterhin haben die Forscher festgestellt, dass es Pflanzenfamilien gibt, deren Mitglieder sich stark in der Ausprägung einzelner Kanalfunktionen unterscheiden. Den Grund für diese Unterschiede wollen sie nun auf molekularer Ebene verstehen. Sie möchten auch prüfen, ob die kleinen Unterschiede die Stressanpassung befördern.
Publikation
„Voltage-dependent gating of SV channel TPC1 confers vacuole excitability“, Dawid Jaślan, Ingo Dreyer, Jinping Lu, Ronan O’Malley, Julian Dindas, Irene Marten, Rainer Hedrich. Nature Communications, 14. Juni 2019, DOI: 10.1038/s41467-019-10599-x
Kontakt
Prof. Dr. Rainer Hedrich, Lehrstuhl für Botanik I (Pflanzenphysiologie und Biophysik), Universität Würzburg, T +49 931 31-86100, hedrich@botanik.uni-wuerzburg.de