Infektionsforschung: Graduiertenkolleg verlängert
14.07.2020Infektionskrankheiten des Menschen besser verstehen und damit den Weg zu neuen Therapien bahnen: Das ist Ziel eines Graduiertenkollegs an der Universität Würzburg. Es kann jetzt in eine zweite Förderperiode starten.
Organoide sind winzig klein – deutlich kleiner als ein Reiskorn – und gleichen dennoch in Aufbau und Struktur ihren großen „Vorbildern“: Organen wie beispielsweise dem Darm oder der Schleimhaut der Gebärmutter. Weil sie das ursprüngliche Organ sehr gut nachbilden, die gleichen Zelltypen besitzen und vergleichbar biochemisch reagieren, eignen sie sich hervorragend für die Grundlagenforschung. An der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) spielen Organoide eine wichtige Rolle bei der Forschung an Infektionskrankheiten. Und ihre Bedeutung wird in Zukunft noch zulegen.
Infektionskrankheiten sind nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen des Menschen. Trotz zahlreicher medizinischer Fortschritte in der Vergangenheit ist eine erfolgreiche Behandlung in vielen Fällen nicht in Sicht oder durch Phänomene wie einer zunehmenden Resistenz der Erreger gegen gängige Medikamente gefährdet. Bessere Strategien für effiziente und langanhaltende Therapien gegen menschliche Infektionskrankheiten sind deshalb dringend erforderlich. Voraussetzung dafür ist ein möglichst detailliertes Wissen über die jeweiligen Infektionsprozesse.
Mehr als fünf Millionen Euro für die kommenden Jahre
An diesen Details forscht das Graduiertenkolleg „3D-Gewebemodelle zur Untersuchung von mikrobiellen Infektionen durch Pathogene des Menschen“ seit dem Jahr 2016 an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Jetzt, zum Ende der ersten Förderperiode, hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) den Würzburger Infektionsforschern die hohe Qualität ihrer bisherigen Arbeit bestätigt und eine „Verlängerung“ bewilligt. Für die kommenden 4,5 Jahre stellt sie nochmals mehr als fünf Millionen Euro zur Verfügung.
Das ist der Punkt, an dem Organoide ins Spiel kommen: „Um im Labor eine Infektion unter möglichst realistischen Bedingungen erforschen zu können, braucht es spezielle Gewebe und eine hoch entwickelte Analysetechnik“, erklärt Professor Thomas Rudel, Inhaber des Lehrstuhls für Mikrobiologie an der JMU und Sprecher des Graduiertenkollegs. Solche Gewebe haben die Mitglieder des Graduiertenkollegs in den vergangenen Jahren erfolgreich entwickelt und erforscht. „In der ersten Förderperiode wurden Organoide für den gesamten Magen-Darm-Trakt, die Eileiter und die Gebärmutterschleimhaut etabliert“, so Rudel.
Worauf die Wissenschaftler ebenfalls setzen, sind sogenannte „humane 3D-Gewebemodelle“. Diese stammen ursprünglich aus der Transplantationsmedizin und kommen dort als Gewebeersatz, beispielsweise nach Unfällen oder Tumoroperationen, zum Einsatz. Weil sie menschlichem Gewebe so ähnlich sind, eignen sie sich sehr gut dafür, das Infektionsgeschehen quasi unter realen Bedingungen zu erforschen.
Einblicke, die bisher nicht möglich waren
Mit solch einem, von ihnen entwickelten 3D-Modell haben die Würzburger Infektionsforscher beispielsweise neue Details einer Infektion mit Gonokokken, den Erregern einer der häufigsten sexuell übertragbaren Erkrankungen, entdeckt. In ihren Modellen überleben die Bakterien mehrere Tage in Gewebenischen, einem Merkmal, das in einfachen Infektionsmodellen nie beobachtet wurde. Dass eine Unterversorgung mit Sauerstoff bei einer Infektion mit Meningokokken, Auslösern schwerer Krankheiten wie etwa der Hirnhautentzündung, eine Rolle spielen könnte, ist das Ergebnis ihrer Forschung an einem weiteren Gewebemodell, das die Blut-Hirn-Schranke nachahmt. Komplexe humane 3D-Hautmodelle akzeptiert selbst die Tsetsefliege und injiziert dabei Trypanosomen, Erreger der afrikanischen Schlafkrankheit, in spezielle Wundkanälchen – ein Prozess, der in diesem Infektionsmodell zum ersten Mal beobachtet wurde.
Jede Menge Technik ist notwendig, um die molekularen Prozesse in solch komplexen Infektionsmodellen auf dem Niveau einzelner Zellen analysieren zu können. Würzburger Forscher haben dafür beispielsweise in der ersten Förderperiode spezielle Methoden einer superauflösenden Mikroskopie entwickelt, die sie nun mit bioinformatischen Analysen kombinieren wollen. Damit wollen sie in Zukunft Interaktionen zwischen dem Krankheitserreger und seinem Wirt mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung untersuchen.
Höchst anspruchsvolle Aufgaben stehen an
Trotz der Erfolge in der ersten Förderperiode: In den kommenden knapp fünf Jahren bleibt den Mitgliedern des Graduiertenkollegs noch genug zu tun. Dann geht es vor allem darum, die humanen 3D-Infektionsmodelle, die auf im Reagenzglas gezüchteten Geweben basieren, weiterzuentwickeln. „Die bisherigen Modelle haben sich als sehr gut geeignet erwiesen. Es gibt jedoch noch einige Merkmale, die je nach den spezifischen Bedürfnissen entwickelt oder angepasst werden müssen“, sagt Thomas Rudel. Die Versorgung mit Blutgefäßen sowie einem funktionierenden Immunsystem stehen dabei ganz oben auf der Liste – eine „höchst anspruchsvolle Aufgabe“, wie Rudel sagt. Auch den Einfluss der Gewebearchitektur als ein für die Infektion relevantes Merkmal wollen die Wissenschaftler in den kommenden Jahren stärker berücksichtigen.
Stichwort Graduiertenkolleg
Graduiertenkollegs bieten Doktorandinnen und Doktoranden die Möglichkeit, in einem strukturierten Forschungs- und Qualifizierungsprogramm auf hohem fachlichem Niveau zu promovieren. Ziel ist es laut DFG, die Promovierenden auf den komplexen Arbeitsmarkt „Wissenschaft“ intensiv vorzubereiten und gleichzeitig ihre frühe wissenschaftliche Selbstständigkeit zu unterstützen.
15 Doktorandinnen und Doktoranden konnten, direkt aus den Mitteln des Würzburger Graduiertenkollegs finanziert, in der ersten Förderperiode an ihrer Promotion arbeiten; weitere 15 kommen nun dazu. Dazu kommen weitere junge Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die aus anderen Töpfen finanzielle Unterstützung erhalten.
Die Forscherinnen und Forscher des Graduiertenkollegs decken komplementäre Fachgebiete ab – von der Infektionsbiologie über das Tissue Engineering, Bildgebung und Einzelzell-RNA-Sequenzierung bis zur Bioinformatik. Sie kommen aus den Fakultäten für Biologie und Medizin, dem Universitätsklinikum, der Fraunhofer-Gesellschaft (ISC) und der Helmholtz-Gesellschaft (HIRI). Im Zentrum ihrer Forschung stehen Erreger wie Papillomviren, mehrere bakterielle Erreger und Trypanosomen sowie Leishmanien.
Kontakt
Prof. Dr. Thomas Rudel, Lehrstuhl für Mikrobiologie, T:+49 931 31-84401, Thomas.Rudel@biozentrum.uni-wuerzburg.de