Chair of Biochemistry

Gender ist nicht nur für Frauen

11.05.2017

Drei Preisträgerinnen, zwei Festvorträge und ein gemeinsames Anliegen: Mit einer öffentlichen Auftaktveranstaltung in der Neubaukirche hat das Genderforum der Uni Würzburg die Arbeit aufgenommen.

Auftaktveranstaltung für das Genderforum mit (v.l.): Vizepräsidentin Barbara Sponholz, den Vortragenden Lann Hornscheidt und Margarethe Hochleitner sowie der Frauenbeauftragten der Uni Marie-Christine Dabauvalle.
Auftaktveranstaltung für das Genderforum mit (v.l.): Vizepräsidentin Barbara Sponholz, den Vortragenden Lann Hornscheidt und Margarethe Hochleitner sowie der Frauenbeauftragten der Uni Marie-Christine Dabauvalle. (Bild: Universität Würzburg)

Ein kleine Veränderung auf dem Chromosom 4 ist der Auslöser einer bestimmten Form der Muskelschwäche: der fazioskapulohumeralen Muskeldystrophie. Die Zellbiologin Corinna Frank forscht in der Abteilung für Elektronenmikroskopie an dieser Krankheit und hat dabei festgestellt, dass die sowieso schon defekten Zellen auf zusätzlichen Oxidativen Stress stark reagieren – allerdings nicht immer gleich: „Bei Frauen fällt diese Reaktion scheinbar  stärker aus als bei Männern“, sagt sie. Warum das so ist, sei derzeit noch unbekannt.

Drei Posterpreise für Genderforschung

Corinna Franks Arbeit ist ein Beispiel für ein Forschungsprojekt an der Universität Würzburg, bei dem das Geschlecht eine Rolle spielt. Im Rahmen der Auftaktveranstaltung für das neu gegründete Genderforum hat Frank die Ergebnisse ihrer Forschung auf einem Poster präsentiert und dafür den 1. Preis erhalten. Im Vorraum der Neubaukirche hatten zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Arbeiten aus den unterschiedlichsten Fachgebieten präsentiert, bei denen der Genderaspekt eine wichtige Position einnimmt.

„Traumatologie und Anthropologie im Frauenfußball“ lautet beispielsweise der Titel der Arbeit von Yvonne Voß. Die Sportwissenschaftlerin hat untersucht, ob und wie sich Männer und Frauen im Fußball unterscheiden. Keine Unterschiede fand sie bei der Leistung: „Frauen legen in den 90 Minuten die gleichen Strecken zurück wie Männer“, so Voß. Große Unterschiede zeigten sich hingegen bei den Verletzungsarten und -häufigkeiten. Aufgrund anatomischer Unterschiede erleiden Frauen sehr viel häufiger Verletzungen an Fuß, Sprunggelenk und Knie als Männer. Zum Ausgleich sind sie seltener von Muskelverletzungen betroffen, was sie vermutlich der höheren Elastizität ihrer Bänder verdanken. Für diese Arbeit erhielt Voß den 2. Posterpreis.

Der 3. Preis ging an Sarah Merkle-Schneider. Die Indologin erforscht „Jogappas“ – Männer, die dazu berufen werden, einer bestimmten Göttin zu dienen. Sie nehmen dafür in einem Initiationsritus einen weiblichen Namen an und verändern in der Folge auch ihr Aussehen. So lassen sie beispielsweise ihre Haare wachsen und tragen nur noch Frauenkleider. Sarah Merkle-Schneider interessiert sich unter anderem dafür, wie in den Dörfern der Jogappas Transidentität und Geschlechterwechsel gesehen wird.

Grußworte von Alfred Forchel und Marie-Christine Dabauvalle

„Genderforschung ist als interdisziplinäres Forschungsfeld an nahezu allen Fakultäten der Universität Würzburg vertreten – von den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften über die Medizin bis zur Mathematik.“ Was sich in der Poster-Ausstellung zeigte, bestätigte Unipräsident Alfred Forchel in seinem Grußwort. Wissenschaftlerinnen und Studierende in unterschiedlichen Disziplinen, die sich mit dem Thema Gender beschäftigen, miteinander zu vernetzen, ihre Zusammenarbeit innerhalb der Universität zu fördern und so dieses wichtige Forschungsfeld weiter zu stärken: Dies sind nach Forchels Worten die Aufgaben des Genderforums der Universität Würzburg.

Dabei solle Gender nicht nur ein Thema für die Forschung sein, sondern auch für die Lehre. Überdies könne sich Forchel vorstellen, ein Gender-Forschungszentrum einzurichten sowie eine Gastprofessur auf diesem Gebiet zu etablieren, die durch die Fakultäten wandert.

Eine Idee, die Marie-Christine Dabauvalle, Frauenbeauftragte der Universität und wesentliche Kraft hinter der Gründung des Genderforums, in ihrem Grußwort direkt aufgriff: Ihre Vision sei die Einrichtung einer interfakultären Professur für Genderforschung an der Uni Würzburg – eine Vision, die sie so schnell wie möglich in die Realität umsetzen möchte. Darüber hinaus will Dabauvalle mit Hilfe des Genderforums den Dialog mit der Öffentlichkeit fördern. Eine neue Vortragsreihe mit monatlichen Vorträgen wird deshalb im Juni starten.

Welche Themen im Mittelpunkt solcher Vorträge stehen könnten, durften die Besucher der Auftaktveranstaltung in der Neubaukirche direkt im Anschluss an die Grußworte erleben. Margarethe Hochleitner und Lann Hornscheidt boten Einblicke in ganz unterschiedliche Forschungsgebiete.

Gender Medizin hilft Frauen und Männern

„Gender Medizin – Was ist das?“ war der Vortrag von Margarethe Hochleitner überschrieben. Die Internistin ist Professorin an der Medizinischen Universität Innsbruck und räumte gleich zu Beginn mit einem möglicherweise weit verbreiteten Vorurteil auf: „Bei Gender Medizin geht es nicht um Frauengesundheit. Gender Medizin ist Frauen- und Männergesundheit“, so die Medizinerin.

Vorurteile gibt es in der Medizin allerdings häufig. Herzinfarkt? Klare Männerkrankheit! Brustkrebs? Betrifft nur Frauen! Und Osteoporose? Der Mann, der von sich aus seine Knochendichte überprüfen lässt, musst erst noch gefunden werden. Das Problem an diesen Vorurteilen ist die Tatsache, dass sie für die Betroffenen drastische Konsequenzen haben können.

„Frauen mit Herzproblemen bekommen später eine Herzkatheter-Untersuchung und einen Bypass. Sie haben geringere Chancen auf Spitzenmedizin“, sagte Hochleitner. Dabei zeige die Statistik, dass Herz-Kreislauferkrankungen weltweit die Todesursache Nr. 1 sind – für Männer wie Frauen gleichermaßen. Im Gegenzug ist die Sterblichkeit von Männern, die an Brustkrebs erkrankt sind, deutlich höher, verglichen mit der von Frauen. Sie müssten erst „beweisen“, dass sie tatsächlich davon betroffen sind, so die Ärztin.

Gender Medizin ist nach Ansicht von Margarethe Hochleitner nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer personalisierten Medizin. Denn: „Je besser die Unterscheidung, desto besser die Angebote“.

Geschlecht ist keine hierarchiefreie Kategorisierung.

Eine Welt, in der die Wahrnehmung von Menschen von deren Geschlecht entkoppelt ist, wünscht sich Lann Hornscheidt. Die Wissenschaftlerin hatte bis Ende 2016 die Professur für Gender Studies und Sprachanalyse an der Berliner Humboldt-Universität inne – und würde sich vermutlich jetzt über die Verwendung des Begriffs „Wissenschaftlerin“ beschweren. Hornscheidt möchte keinem Geschlecht zugeordnet sein und lehnt deshalb für sich eine Bezeichnung als Mann oder Frau in der Anrede ab. Lann Hornscheidt bezeichnet sich im Sinne der geschlechtsneutralen Sprache als „Professx“.

„Ohne Rassismus gäbe es keine Rassen. Ohne Sexismus gäbe es keine Geschlechter.“ So lautete die zentrale These in Lann Hornscheidts Vortrag. Jeder Mensch bekommt spätestens bei der Geburt ein Geschlecht zugewiesen und damit eine soziale Rolle, die er im Laufe seines Lebens zu erfüllen habe, meint Lann Hornscheidt. Diese „Naturalisierung von sozialen Rollen und Normen“ gehe einher mit einem Machtgefälle, mit Diskriminierung und Gewalt. Schließlich sei Geschlecht keine hierarchiefreie Kategorisierung.

Die Zuhörer forderte Hornscheidt deshalb dazu auf, sich zu überlegen, was es mit ihnen machen würde, wenn sie die Wahrnehmung von Menschen von deren Geschlecht entkoppeln. Gender Studies können nach der Meinung von Hornscheidt dabei helfen, solche Normen wahrzunehmen, die „Vielschichtigkeit struktureller Gewalt zu verstehen“ und Veränderungen anzustoßen. „Wir brauchen die Debatte, um eine Welt zu gestalten, in der sich alle Menschen entfalten können, ohne dies auf Kosten anderer Menschen zu tun“, ist die Überzeugung von Lann Hornscheidt.

Moderiert wurde die Veranstaltung von der Main-Post-Journalistin Andrea Czygan.

Links

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Lann Hornscheidt

Margarethe Hochleitner

Kontakt

Prof. Dr. Marie-Christine Dabauvalle, T 31-88055, dabauvalle@biozentrum.uni-wuerzburg.de

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Von Gunnar Bartsch

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