Chair of Biochemistry

Auf der Spur eines lästigen Blutsaugers

02.02.2016

Einem internationalen Team von Wissenschaftlern ist es gelungen, das Genom der Bettwanze zu entschlüsseln. Daran beteiligt waren auch Neurogenetiker des Biozentrums der Universität Würzburg. Sie haben sich für Gene interessiert, die innere Uhren ticken lassen und Ausscheidung und Häutung steuern.

Bettwanzen und ihr Nachwuchs. (Foto: Coby Schal, North Carolina State University, USA)
Bettwanzen und ihr Nachwuchs. (Foto: Coby Schal, North Carolina State University, USA) (Bild: Universität Würzburg)

Schon der Gedanke an sie verursacht bei empfindlichen Menschen Gänsehaut und den Drang, sich zu kratzen: Bettwanzen. Die wenige Millimeter großen Insekten sind seit einigen Jahren weltweit auf dem Vormarsch. Nachdem sie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in vielen Ländern dieser Erde – vermutlich aufgrund eines großzügigen Einsatzes von Pestiziden – nahezu ausgerottet waren, erleben sie derzeit eine Art „Wiederauferstehung“.

Resistenzen sind weitverbreitet

Ein Boom bei Fernreisen, die Globalisierung im Handel und der Trend zum Secondhand tragen nach Ansicht der Wissenschaft dazu bei, dass Bettwanzen inzwischen wieder auf allen Kontinenten der Erde heimisch sind. Noch mehr dürfte dafür aber die Tatsache verantwortlich sein, dass die Tiere mittlerweile gegen die meisten Klassen von Insektiziden resistent sind.

Jetzt ist es einem Team von Wissenschaftlern aus den USA, Deutschland, Indien, Frankreich, Taiwan, Großbritannien, Neuseeland und der Schweiz gelungen, das Genom der Bettwanze komplett zu entschlüsseln. Mit dabei: Christian Wegener, Professor für Neurogenetik am Lehrstuhl für Neurobiologie und Genetik am Biozentrum der Universität Würzburg, und seine Mitstreiter, die Postdocs Dr. Pamela Menegazzi und Dr. Nicolai Peschel. Koordiniert wurde die Arbeit von Forschern der Universität Cincinnati; die Sequenzierung erfolgte am Baylor College for Medicine in Houston. Ihre Ergebnisse stellen die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe von Nature Communications vor.

Forscher vom Biozentrum beteiligt

Eigentlich forschen die Wissenschaftler am Lehrstuhl für Neurobiologie und Genetik bevorzugt an der Taufliege Drosophila. Zwei Gründe waren im Wesentlichen dafür verantwortlich, warum sie sich jetzt mit dem Genom der Bettwanze beschäftigt haben: „Bettwanzen sind nach einer Blutmahlzeit so vollgepumpt, dass sie sich nur noch schlecht bewegen können. Das macht sie anfällig für potenzielle Räuber“, schildert Christian Wegener einen der Auslöser. Allerdings beherrschen die Wanzen einen Trick, mit dem sie diese Gefahr reduzieren können: Sie scheiden in kurzer Zeit eine große Menge an Flüssigkeit aus und werden dadurch wieder beweglicher.

Peptidhormone steuern diesen Prozess, indem sie an sogenannte G-Protein-gekoppelte Rezeptoren binden. „Diese Rezeptorklasse finden wir auch beim Menschen. Bei ihm sind sie Ansatzpunkt für eine Vielzahl von Medikamenten“, erklärt Wegener. Gut möglich, dass sich sie bei der Bettwanze als Ziel für eine neue Art von Insektiziden eignen. Dann könnte der Kampf „Mensch gegen Wanze“, bei dem aktuell das Insekt klar vorne liegt, eine Wende erfahren.

Zusammen mit seinem Kollaborationspartner Prof. Klaus Reinhardt von der TU Dresden interessiert sich Wegener dafür, welche Signale den Ausscheidungs- und Häutungsprozess in Gang setzen. „Es ist denkbar, dass Dehnungsrezeptoren in der Haut der Bettwanzen den entscheidenden Anstoß geben“, sagt der Neurogenetiker. Schließlich registrieren diese als Erste, wenn sich der Leib durch das viele Blut aufbläht und damit anzeigt, dass Nährstoffe zum Wachstum vorhanden sind.

Das Blutsaugen stellt die innere Uhr

Wie die innere Uhr der Bettwanze funktioniert, war die zweite Frage, für die sich das Würzburger Team interessiert hat. „Bei den meisten Lebewesen stellt das Tageslicht diese Uhr. Bettwanzen hingegen sind nachtaktiv; bei ihnen ist auch das Blutsaugen ein wichtiger Taktgeber“, erklärt Pamela Menegazzi. Welche Gene dafür verantwortlich sind, wie diese sich von denen anderer Insekten unterscheiden und welche Veränderungen sie im Laufe der Evolution durchgemacht haben: Auf diese Fragen haben die Wissenschaftler im Genom der Bettwanze nach Antworten gesucht.

„Das Genom entschlüsselt“: Für den Laien klingt das nach einer Fleißaufgabe, die heute quasi automatisch von Sequenziermaschinen erledigt wird. Wo bleibt denn da die wissenschaftliche Leistung? „So einfach, wie es sich anhört, ist der Prozess bei weitem nicht“, sagt Christian Wegener. Die Sequenz des Erbguts sei vergleichbar mit dem Fund einer Schrifttafel mit einer lückenlosen Abfolge unbekannter Schriftzeichen. Selbst wenn klar sei, welcher Laut zu welchem Zeichen gehöre, ließe sich immer noch nicht genau sagen, wo ein Wort anfange und wo es ende – ganz  zu schweigen von dessen Bedeutung.

14.222 Gene identifiziert

Und so gleicht die Arbeit der Forscher einer Art Puzzle in Form eines Videospiels in einem speziellen Genombrowser. Alle beteiligten Arbeitsgruppen tragen dort ihre Ergebnisse zusammen, Bioinformatiker überprüfen diese anschließend. 14.222 Gene der Bettwanze identifizierten die Wissenschaftler auf diese Weise – automatisch vorausgesagt hatten sie 13.953. Zum Vergleich: Im menschlichen Erbgut finden sich etwas mehr als 20.000 Gene.

In ihnen versteckt liegen die Erklärungen für manch erstaunliches Verhalten der Bettwanze. So ernährt sich das Tier ausschließlich von Blut und muss deshalb in der Lage sein, daraus sämtliche Nährstoffe zu ziehen, die es zum Überleben braucht. Und hat es eine „Blutmahlzeit“ zu sich genommen, kann die Bettwanze ein ganzes Jahr lang ohne weitere Nahrungsaufnahme überleben. Der Versuch, eine befallene Matratze quasi „auszuhungern“, indem man ein paar Wochen auf die Wohnzimmercouch umzieht, ist also zum Scheitern verurteilt.

Eine kuriose Fortpflanzungstechnik

Kurios ist auch die Fortpflanzungstechnik der Bettwanzen; von „traumatischer Insemination“ spricht die Wissenschaft in diesem Fall. Das bedeutet: Das Männchen durchsticht die Bauchhaut des Weibchens und legt seine Spermien in der Körperhöhle des Weibchens ab. Wie sich solch brutales Verhalten im Laufe der Evolution entwickeln konnte und wie dabei Infektionen vermieden werden, lautet eine Frage, die die Wissenschaft interessiert. Das Wissen über die dabei aktiven Gene könnte auch für die Therapie einer Reihe von Krankheiten des Menschen von Nutzen sein, glauben die Wissenschaftler.

Das Genom von 5000 Insekten im Visier

Das Erbgut von 5.000 Insekten entschlüsseln: Dieses Ziel hat sich das Projekt „i5K“ zum Ziel gesetzt. Das Bettwanzengenom ist eines davon. Die internationale Zusammenarbeit liefert nach Wegeners Worten eine Art Referenz für alle weiteren Vorhaben. „Die Tatsache, dass das sequenzierte Erbgut im Anschluss von einer Vielzahl von Wissenschaftlern manuell durchsucht wurde, garantiert eine hohe Qualität der Ergebnisse“, sagt der Genetiker. Dennoch sei auch in diesem Fall davon auszugehen, dass bei weitem nicht jedes Gen tatsächlich identifiziert wurde.

Unique features associated with bed bug biology revealed through sequencing and manual curation of the Cimex lectularius genome. Joshua B. Benoit, et al. Nature Communications, DOI: 10.1038/ncomms10165

Kontakt

Prof. Dr. Christian Wegener, T: (0931) 31-85380, christian.wegener@biozentrum.uni-wuerzburg.de

 

Von Gunnar Bartsch

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